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Wiedergrün war an der Intercharge Network Conference 2023 und hat dort hinter die Kulissen von Plug and Charge geschaut. Es konnten spannende Erkenntnisse gezogen werden.
Im letzten Beitrag “ISO 15118 und Plug and Charge einfach erklärt” haben wir erklärt, was Plug and Charge überhaupt ist und unter welchen Bedingungen diese neue Ladefunktion genutzt werden kann. Auffallend war, dass sehr viele Systeme funktionieren müssen, damit die Autorisierung funktioniert und ein Ladevorgang automatisch gestartet sowie bezahlt wird.
Deshalb haben wir uns gefragt, ob diese neue Technologie nicht nur in Theorie und bei einigen Testimonials funktioniert, sondern ob sie tatsächlich auch in Realität bereits weitläufig genutzt wird.
Mit dieser Frage im Hinterkopf sind wir diese Woche an die Intercharge Network Conference 2023 auf dem EUREF-Campus in Berlin gereist. Tausende Experten der Elektromobilitätsbranche haben sich dort vom 29 bis 30 August 2023 versammelt.
Draußen gab es viele Infos- und Werbestände zur Präsentation von neuartigen Produkten und Dienstleistungen aus den Bereichen Laden und Elektroautos. Drinnen wurde eine Diskussion oder Präsentation nach der anderen eingeleitet. Aktuellen Ladethemen wie Rentabilität und Skalierung der Ladeinfrastruktur, Benutzerfreundlichkeit und eben Plug and Charge standen dabei im Vordergrund.
Die Gastsprecher waren bekannte Gesichter der Branche. Die meisten großen Marken waren durch CEOs, Heads of Business Development oder sonstige Kaderpositionen vertreten. Die Diskussionen auf der Hauptbühne wurden sogar von einer professionellen Moderatorin begleitet und von mehreren Kameras gefilmt und direkt auf Bildschirme übertragen. Dadurch konnte man auch von den hinteren Reihen das Geschehen auf der Bühne verfolgen.
Bei Hubject handelt es sich um den Hauptveranstalter der Konferenz und zugleich den Knotenpunkt von Plug and Charge. Tatsächlich verwaltet das Technologieunternehmen Hubject eine zentrale Datenbank, die von den meisten Plug and Charge-Ladestromanbietern, Fahrzeugherstellern, Ladestationsbetreiber und verbundenen Backends für den Austausch der Daten und für die Validierung der Zertifikate genutzt wird.
Es gibt auch andere solche Datenbanken. Hubject ist aber mit grossem Vorsprung die meistgenutzte. Obwohl sich das Unternehmen stark für die Entwicklung von Plug and Charge und eines entsprechenden Ökosystems engagiert, werden viele Initiativen unternommen, dass kein sogenannter Lock-In-Effekt respektive Monopolismus entsteht.
Christian Kahn, CEO von Hubject, hat zu Beginn der Konferenz auf der Hauptbühne bekannt gegeben, dass er regelmäßig sein E-Auto mit Plug and Charge lädt. Das zeigt, dass es durchaus möglich ist, die neue Ladetechnologie zu nutzen.
Im Rahmen eines von Hubject präsentierten Vortrags wurde über die Erfolge von Plug and Charge berichtet. +440% Plug-and-Charge-fähige Elektroautos, die im Jahr 2022 von den Herstellern bei Hubject angemeldet wurden. Dieses Jahr wird mit einem Wachstum von +210% gerechnet und nächstes Jahr mit +200%. Das sind bombastische Zahlen. Was aber nicht genannt wurde: die Berechnungsbasis. Von wie vielen Fahrzeugen wird gesprochen? Und beziehen sich die Zahlen auf Europa oder auf die gesamte Welt?
Auch die Anzahl Plug-and-Charge-kompatible Ladestationen, die bei Hubject angemeldet sind, wächst gigantisch: +400% im Jahr 2022, dieses Jahr wird mit einem Wachstum von +70% gerechnet und nächstes Jahr von +150%. Leider fehlen aber auch hier konkreten Angaben und absoluten Zahlen. Das selbe gilt für die Anzahl Plug-and-Charge-Ladevorgänge im Roaming, die bei Hubject eingegangen sind: +220% im Jahr 2022, +100% im Jahr 2023 und +150% im Jahr 2024. Warum verzichtet Hubject auf konkrete Angaben?
Beim Vergleich von Wachstumszahlen wird klar, dass Plug and Charge überproportional zur Entwicklung der der Elektromobilität wächst. Beispielsweise gab es im Ende 2022 im Vergleich zum Vorjahr rund 60% mehr Elektroautos auf den Deutschen Straßen versus 440% mehr Plug-and-Charge-kompatible Autos. Im gleichen Zeitraum wurden 40% mehr öffentliche Ladestationen gezählt versus 400% mehr Plug-and-Charge-konforme Säulen. Die Verbreitung von Plug and Charge kommt also sehr gut voran!
Draußen gab es mehrere Plug-and-Charge-Showcases und verbundene Infostände. Verschiedenste Firmen waren präsent, von Ladestations- und Fahrzeughersteller hin zu Backend-Entwickler, um ihr(e) Produkt(e) und/oder Dienstleistung(en) mit Plug and Charge vorzustellen.
An den Showcases wurde die automatische Ladetechnologie anhand einer konformen Ladesäule und eines kompatiblen E-Autos demonstriert. Wie wir herausgefunden haben, handelte es sich bei den meisten Ständen um Vorführmodelle, ohne dass Plug and Charge bereits von Endkunden genutzt werden kann.
Interessanterweise gab es bei fast allen Ständen technische Probleme. Der Ladevorgang startete bei den E-Autos nämlich nicht immer automatisch. Teilweise konnte das Problem beim zweiten oder dritten Versuch behoben werden. Manchmal konnte es aber auch über Stunden nicht gelöst werden.
Klar für uns ist, dass es sich hierbei nicht nur um einen Vorführeffekt handelt, sondern dass die Technologie in Realität noch nicht vollständig marktreif ist – die Unternehmen befinden sich alle noch in der Entwicklung. Sind Probleme aufgetreten, so konnten die Gründe dafür oft nur schwer gefunden werden. Durch die Vielzahl an Systembeteiligten aus Ladestationshersteller, Backend-Betreiber und Fahrzeug-Hersteller ist das Fehlerbild mitunter schwer zu analysieren. Die Verantwortlichen auf der Konferenz versuchten beispielsweise durch Ein- und Ausschalten des Fahrzeugs den Fehler zu beheben, um anschließend den automatischen Authentifizierungsprozess zu starten.
Die Displays auf den Ladestationen haben ebenfalls unser Interesse erweckt. Teils wurde das Logo der Konferenz auf den Displays angezeigt. Manchmal waren die Angaben auch sehr minimalistisch gehalten, reduziert auf drei Seiten: Startseite, Authentifizierungsprozess (bei Einstecken des Ladekabels) und Ladeinformationen (falls die automatische Authentifizierung geklappt hat). Normalerweise werden an öffentlichen Ladestationen mehr Informationen und Seiten angezeigt. Daher haben wir uns gefragt, ob es sich bei manchen Ladestationen um spezielle Messe-Versionen handelte, also um Softwares, die speziell für Ausstellungen entwickelt wurden und nicht in Realität genutzt werden.
Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die einzelnen Stände mit unseren Fragen hinsichtlich der tatsächlichen Implementierung und Nutzung von Plug and Charge zu konfrontieren. Die Antworten der Firmen können in drei Kategorien aufgeteilt werden.
Es gab einige Anbietern, die nicht auf unsere Fragen eingingen und/oder keine Antworten wussten.
Trotz mehrmaligem Nachfragen wichen einige Firmen gekonnt unseren Fragen aus. Außerdem wurden wir an vielen Ständen immer wieder an andere Vertreter weitergeleitet wurden, sodass wir am Ende mit fast allen präsenten Ansprechpersonen gesprochen hatten.
Da die einzelnen Mitarbeiter aber sehr wenig über Plug and Charge wussten, ist es auch möglich, dass schlicht und einfach niemand genau wusste, was der aktuelle Stand der Dinge ist. Teilweise bekamen wir nämlich auch Kontaktdaten von Marketingverantwortlichen oder Produktentwickler:innen, die mehr über das Thema wissen.
Die zweite Kategorie clustert jene Anbieter, die offen und ehrlich zugaben, dass ihr Produkt mit Plug and Charge noch nicht auf dem Markt implementiert ist und entsprechend noch nicht von Endnutzern verwendet wird.
Bei dem Showcases handelte es sich oftmals um das erste Vorführmodell. Während sich die einen Anbieter noch in Vertragsdiskussionen mit Hubject befanden, waren andere noch an der Fertigstellung der IT-Entwicklung.
Es gab außerdem Anbieter, welche die neue Ladetechnologie bereits implementiert und echte Endnutzer haben.
Wir wurden von diesen Anbietern mehrmals darauf hingewiesen, dass sehr viele Schnittstellen notwendig sind, damit ein Ladevorgang automatisch startet. Auch wenn beide, das Fahrzeug und die Ladesäule, Plug-and-Charge-kompatibel sind, kommt es immer wieder vor, dass der Ladevorgang trotzdem nicht automatisch gestartet wird. Grund dafür ist die hohe Gesamtkomplexität der Ladetechnologie.
Tesla war an der Intercharge Network Conference sehr präsent. 12 öffentliche Supercharger sind permanent installiert in der Mitte des Außenbereichs der Konferenz. Daher fuhren ständig Teslas in den Bereich hinein um zu laden. Außerdem war Tesla in Diskussionen unter den Besucher und auf den Bühnen präsent.
Nichtsdestotrotz hatte Tesla weder einen Stand noch einen Gastredner vor Ort. Man kann argumentieren, dass der Konzern eigentlich nicht Teil des Intercharge- und Plug-and-Charge-Ökosystems ist, da er ein eigenes Ökosystem aufgebaut hat, das unabhängig von den anderen Anbietern ist. Dennoch ist Tesla Marktführer und prägt die gesamte Elektromobilitätsbranche. Daher gab ihre persönliche Abwesenheit interessante Diskussionsimpulse.
Wir sind zur Intercharge Network Conference gereist, um herauszufinden, ob Plug and Charge nicht nur in Theorie, sondern auch in Realität bereits weitläufig genutzt wird. Da viele verschiedene Firmen ihre Plug and Charge-kompatiblen Produkte und Dienstleistungen im Rahmen vom Showcases vorführten, sind wir davon ausgegangen, dass die neue Ladetechnologie trotz technischer Komplexität bereits weiter verbreitet ist. Wie sich aber herausgestellt hat, konnten die Showcases ebenso gut die Probleme demonstrieren wie die eigentliche Funktion.
An den Vorträgen von Hubject wurde ausgiebig von Herausforderungen, die Plug and Charge mit sich bringt, gesprochen. Nichtsdestotrotz wurde anhand Wachstumszahlen vermittelt, dass die neue Ladetechnologie bereits weitläufig genutzt wird.
Diese Diskrepanz ist sehr spannend und wirft neue Fragen auf. Warum werden überhaupt so viele Showcases vorgestellt, die gar nicht richtig funktionieren? Es ist durchaus vorstellbar, dass man davon ausging, dass die neue Ladetechnologie zum Zeitpunkt der Konferenz bereits erfolgreicher implementiert sein wird. Und da die Organisation einer solchen Konferenz mehrere Monate in Anspruch nimmt, kann nicht in letzter Minute alles umgeändert werden.
Plug and Charge wurde bereits von einigen Anbietern implementiert und die Anzahl der konformen Autos und Ladestationen wächst enorm. Die neue Ladetechnologie wird also immer weitläufiger genutzt.
Die Branche steht zwar noch vor einigen Hürden, bis die neue Technologie ausgereift ist. Das ist aber ganz normal, denn die Gesamtkomplexität von Plug and Charge ist enorm hoch.
Irgendwann werden wir die Funktion an jeder Ladestation nutzen können. Wir freuen uns darauf.
Wiedergrün ist ein Beratungs- und Ingenieurbüro, das sich auf Elektromobilität und Ladelösungen für Elektrofahrzeuge spezialisiert hat. Wir bieten eine Reihe von Dienstleistungen für drei Hauptkundengruppen an: Immobilienunternehmen, Vermieter und Hausverwaltungen, KMU und mittelständische Unternehmen sowie Unternehmen der Ladeindustrie.
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